Arbeits- und Forschungsstellen

Forschungsstelle "Nietzsche-Kommentar" (Projekt der Heidelberger Akademie der Wissenschaften am Deutschen Seminar der Universität Freiburg)

Friedrich Nietzsche (1844-1900) ist der wohl international wirkungsmächtigste deutschsprachige Autor der Moderne. Eine schier unüberschaubare Flut von Publikationen beschäftigt sich mit seinem Werk, das weltweite Bedeutung nicht nur für die philosophische Diskussion, sondern unter anderem auch für Literatur, Kunst, Anthropologie, Psychologie, Theologie, Politik sowie ebenfalls für die Populärkultur hat. Umso erstaunlicher erscheint, dass es bislang keinen übergreifenden Kommentar zu seinen Schriften gab. Die Nachberichtsbände der Kritischen Gesamtausgabe der Werke Nietzsches (KGW) von Giorgio Colli und Mazzino Montinari bleiben - aufgrund ihrer editionsphilologischen Schwerpunktbildung - im Bereich der Kommentierung bewusst zurückhaltend. Der Nietzsche-Kommentar behebt dieses Desiderat zunächst vor allem für die zu Lebzeiten veröffentlichten bzw. für die Veröffentlichung vorgesehenen Schriften und bereitet damit nicht zuletzt die Grundlage für die in langfristiger Perspektive ebenfalls dringliche Kommentierung des wirkungsgeschichtlich hochbedeutenden Nachlasses.

Transdisziplinäre und komparatistische Methode

Eine transdisziplinäre und komparatistische Vorgehensweise ist beim Kommentieren der Werke Nietzsches in hohem Maße vom Gegenstand selbst gefordert. Es bedarf kaum des Hinweises darauf, wie häufig der Altphilologe Nietzsche auf antike Literatur und Philosophie rekurriert, wie sehr der Sprachgestus der Bibel auf ihn wirkte und welche tiefen Spuren die Auseinandersetzung mit den künstlerischen, religiösen und wissenschaftlichen Traditionen der Neuzeit in seinen Schriften hinterließ. Dies gilt nicht nur für die deutsche, sondern für die gesamte europäische Geistesgeschichte. Fixpunkte seiner intellektuellen Orientierung und Auseinandersetzung waren etwa die französische Moralistik von Montaigne bis La Rochefoucauld, die französische Aufklärung sowie die Exponenten einer „modernen“ Décadence-Diagnose von Baudelaire bis Bourget. Auch italienische, russische, englische und amerikanische Literatur rezipierte er intensiv. Historische Analysen von Tocqueville bis Jacob Burckhardt bildeten für ihn wichtige Koordinaten. Positivismus und Historismus, Psychologie und Physiologie des 19. Jahrhunderts beschäftigten ihn ebenso nachhaltig wie Schopenhauer, Wagner und Darwin.

Ähnlich vieldimensional ist die Wirkungsgeschichte Nietzsches, den Gottfried Benn 1950 das „größte Ausstrahlungsphänomen der Geistesgeschichte“ nannte. Es genügt, an Thomas Mann, Hofmannsthal, Musil, Benn, Freud und Heidegger sowie an die Wirkung Nietzsches im französischen Geistesleben von Gide bis zu Derrida zu erinnern, ferner an die ideologische und politische Sprengkraft, die der weltanschaulich vereinnahmte Nietzsche im 20. Jahrhundert erhielt. Da Nietzsches weitverzweigte Rezeptions- und Wirkungsgeschichte ein eigenes hochkomplexes Thema bildet, das in einem gesonderten Forschungsprojekt zu untersuchen wäre, beschränkt sich der Nietzsche-Kommentar in dieser Hinsicht auf Ausführungen zur spezifischen Rezeptionsgeschichte der jeweils kommentierten Werke.

 

Funktion und Konzeption

Der Nietzsche-Kommentar von Jochen Schmidt, Katharina Grätz, Sebastian Kaufmann, Barbara Neymeyr und Andreas Urs Sommer wird von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften getragen und ist am Deutschen Seminar (Abteilung für Neuere Deutsche Literatur) der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg angesiedelt. Er wird in sechs umfangreichen Bänden Nietzsches Werke in ihrem geistes- und kulturgeschichtlichen Kontext erschließen und damit eine neue Basis für das Verständnis von Nietzsches Denken und Dichten schaffen.

Der Kommentar soll die bereits vorhandenen, aber verstreuten Forschungsergebnisse zusammenführen, systematisieren und erweitern. Darüber hinaus liefert er Interpretationsansätze zu zentralen Aspekten. Einleitende Überblickskommentare informieren über konzeptionelle, strukturelle sowie entstehungs- und wirkungsgeschichtliche Zusammenhänge der einzelnen Werke. Lemmatisierte Einzelstellen-Kommentare erläutern wichtige Details der entsprechenden Textpartien. Intensive Kontext- und Quellenforschungen sind dafür unerlässlich.

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Schlagworte

Nietzsche, Friedrich

Institution

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Deutsches Seminar
Forschungsstelle Nietzsche-Kommentar
Deutschland