Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wird aus einem wiedergeöffneten Stollen der Bergwerke von Falun in Schweden der nahezu unversehrte Leib eines verschütteten Mannes geborgen. Die verblüfften Bergleute blicken in ein frisches Gesicht, in "die noch unveränderten Gesichtszüge eines verunglückten Jünglings" – wie es in der Quelle, in Gotthilf Heinrich von Schuberts Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaften (1808) heißt. Gleichsam eingelegt in Kupfervitriolwasser hat das Gesicht in 300 Ellen Tiefe überdauert, doch kann dessen Konservierung der Berührung mit Luft und Licht und mithin dem Auge der Umstehenden nicht standhalten. Gesicht und Körper lösen sich auf, zerfallen zu Staub, doch erst, nachdem ein altes Mütterchen "an Krücken und mit grauem Haar" den Konservierten erkennt und an ihre Brust drücken kann: Nicht die Mutter, nein sie ist die Braut des Jünglings von vor fünfzig Jahren, und ihr eingefallenes, "verwelktes" Gesicht kontrastiert der Wirkung des seinen. Die Geschichte vom konservierten Bergmanngesicht ist eine der bekanntesten Kombinationen von Literatur und anorganischer Chemie. Johann Peter Hebel und E.T.A. Hoffmann haben diese Geschichte der Flüssigkeiten als eine Art Antidoton gegen die Auflösungserscheinungen des Gesichts erzählt, die zumindest bei Hebel von einer Verwirrung der Chemikalien und ihrer Wirkungen geprägt ist. Denn die schnelle Auflösung, freilich nach vollzogener Identifikation durch die alte Braut, widerspricht dem chemischen Prozess, durch die jedoch deutlich werden soll, dass der unversehrte Kopf in Vitriol, seine Erkennbarkeit und Präsenz nur um den Preis der Sichtbarkeit zu haben ist: Allein als ein den Blicken und Interaktionen mit den Menschen entzogener Kopf bleibt er sich gleich, ist er intakt, unvergänglich. Damit wird gleichsam auf dem Haupt des aus der Zeitlichkeit herausgefallenen Bergmanns ein Spiel um natürliche und erworbene Konservierungsmodalitäten durch das Vitriol des Berges einerseits und das Gedächtnis der ergrauten Braut andererseits ausgetragen. Als Garanten gegen die Auflösung buhlen sie um die Haltbarkeit und physische Integrität des Menschen, genauer um das Bild von ihm. Durch eine "Verwirrung der Chemikalien", die im Übertrag von der Quelle zur Prosaerzählung erfolgte, wird der Konservierungsstoff Kupfervitriol oft als Eisenvitriol oder folgenreicher und entgegen der Nomenklatur gar als Schwefelsäure überliefert. In dieser starken Säure allerdings hätten sich nicht nur Gesicht und Körper des Bergmanns in maximal zwei Stunden, sondern auch das ganze Bergwerk zersetzt. Im konservierten Bergmann als der Geschichte einer aufgeschobenen Auflösung konvergieren einige Themenfelder der folgenden Beiträge: Neben dem Entzug und der Bergung eines unversehrten Antlitzes, dem eine Art facelifting zuteil wurde, sind es die Umstände seiner Erinnerung und die Bedingungen zu seiner Wiedererkennung, seine Fragilität und sein Zerfall. Themen, in die an dieser Stelle ein wenig eingeführt werden soll.
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