Fast jeder junge Mann ist auf dem nächtlichen Heimweg in der U-Bahn oder zu Fuß auf der Straße schon mal von einer Gruppe anderer Jugendlicher angerempelt, angepöbelt oder aggressiv angemacht worden. Wenn er sich diese Menschen ansieht, vielleicht stehenbleibt, heißt es: »Was guckst du so, Alter, was willst du?« – und das ist oft der Auftakt von brutaler Gewalt. Alltag in Großstädten... Als die Autorin Roswitha Quadflieg nach Berlin zog, las sie in der Zeitung von Giuseppe Marcone, 23, Sohn einer bulgarisch-griechischen Mutter und eines italienischen Vaters – und dessen Geschichte ließ sie nicht mehr los: Er will mit seinem Freund an einem frühen Samstagmorgen mit der U-Bahn nach Hause fahren. Auf dem Bahnsteig werden sie angepöbelt, als sie den U-Bahnsteig wieder verlassen wollen, verfolgt. Giuseppe wird geschlagen, rennt auf die Straße, wird von einem Auto erfasst und gegen einen Ampelmast geschleudert – er stirbt. In Gesprächen mit der Familie, mit Freundinnen, Freunden und ehemaligen Lehrern, mit Zitaten aus Vernehmungsprotokollen, Zeugen- und Anwaltsäußerungen sowie dem Gerichtsurteil (die angeklagten Jugendlichen äußern sich nur über ihre Anwälte, auch deren Familie verweigert sich einem Gespräch) entsteht das genaue und exemplarische Bild eines Gewaltakts und seines Opfers, das Bild vom Leben eines jungen Mannes mit all seinen Sehnsüchten, Fehlern, Widersprüchen und Eigenarten – ein Leben, das sinnlos und abrupt beendet wurde. „Keine künstlich poetisierende Anverwandlungsanmaßung befleckt diese Buchseiten, die auch in keiner Zeile hagiografisch sind: Der freundlich-schusselige Giuseppe M., Altruist und Chaot, kampfsportbegeisterter Harmoniesucher, wird vom juristischen "Fall mit Todesfolge" wieder zu einem Menschen. Dennoch wird nicht auf die Tränendrüse gedrückt, und es ist von analytischer Stringenz, wenn Quadflieg, die sich bei den Befragungen von Giuseppes Umfeld eher zurücknimmt, in ihrem Nachwort schreibt: "Was am 17. September 2011 in Berlin geschah, könnte Stoff für eine Diskussion sein, warum Familien, die aus anderen Ländern nach Deutschland kommen, die alle mit ähnlichen Widerständen zu kämpfen haben, sich auf so unterschiedliche Weise in diese Gesellschaft integrieren – Berufe ergreifen oder von der Stütze leben oder kriminell werden." ... Ein böswillig – und nicht etwa "tragisch", wie der fatale Richter bei der Urteilsbegründung säuselte – zerstörtes, ein unnatürlich kurzes Leben: Aber eines, und das bleibt, das frei war von Kleinmut und Niedertracht. Möge Roswitha Quadfliegs Buch viele aufmerksame Leser finden“ (Die Welt)
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