Wer erzählt? Ist es ein Mensch, ein Gespenst, ein Tier? Es meldet sich in politischen Versammlungen zu Wort. Es erzählt, wie es gelernt hat, die Vorderpfoten zu heben. Indem der Pfleger es auf einen Metallboden stellte, Hinterpfoten in Schuhen, der Boden wurde immer heißer, bis die Hitze unaushaltbar wurde, zugleich erklang ein Fanfarenstoß und ein Befehl. Sie musste die Vorderpfoten heben. Es erzählt also ein Tier. Aus der Perspektive von drei Eisbären, Großmutter, Mutter und Sohn entsteht ein aufregendes Zeitporträt und eine Migrantengeschichte über drei Generationen hinweg. Sie spielt in Moskau, auf Reisen, in der DDR und zuletzt in Deutschland, in Berlin Der Roman von Yoko Tawada wartet mit einem besonderen Leseerlebnis auf. Die vielfach preisgekrönte Autorin mit bislang 23 Büchern in Deutschland (zuletzt "Mein kleiner Zeh war ein Wort", Konkursbuch, 2013; hier nicht besprochen) lässt die Geschichte des im Dezember 2006 im Berliner Zoo geborenen Eisbären Knut, seiner Mutter Toska und seiner Großmutter lebendig werden, erzählt aus Sicht der Tiere, denen jeweils ein Teil des Romans gewidmet ist. Hierbei erschafft die in Berlin lebende Japanerin ein kunstvolles Geflecht verschiedener Erzählebenen, die leichtfüßig ineinander gleiten und die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, der Tier- und Menschenwelt, verwischen und den Leser in den Bann ziehen. Mit seinen eingeflochtenen Anspielungen auf zeitgenössische politische oder gesellschaftliche Be- und Gegebenheiten, philosophischen Reflexionen sowie Mythen aus der Tier- und Ahnenverehrung, bietet der faszinierende Roman, der nah am wahren Leben der Eisbären orientiert ist, neben der unterhaltsam-bewegenden Tiergeschichte noch weitere Deutungsmöglichkeiten. Für Leser, die außergewöhnliche Bücher mögen. (Beatrix Szolvik)
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