Hertha Koenig, 1884 geboren, ist fast zweiundneunzig Jahre alt geworden. Sie war Dichterin und Schriftstellerin, Kunstsammlerin und Mäzenin, hat in München einen literarischen Salon unterhalten und zahlreiche Freundschaften gepflegt, vor allem die zu ihrem großen Vorbild Rainer Maria Rilke. Sie hat ein Vermögen geerbt, hat andere Dichter finanziell unterstützt oder bei sich beherbergt, von Rilke bis zu Alfred Schuler und Oskar Maria Graf. Sie hat sich sozial engagiert, hat als junges Mädchen eine Ausbildung als Krankenschwester absolviert und 1918 eine Hilfsaktion für Kriegsnotleidende organisiert. 1927 kehrte sie an den Ort ihrer Kindheit zurück, auf das westfälische Gut Böckel, und übernahm dort nach dem Tod ihres Vaters die Verwaltung der großen Landwirtschaft, bis sie im Oktober 1976 starb. Ein gelebtes Leben. Doch auch ein erfülltes? "Meine Liebe überdauert. / Ungestillt am vollen Mittag." So heißt es in der "Gladiole" aus dem Zyklus der Blumengedichte, die 1919 im renommierten Leipziger Insel Verlag von Anton und Katharina Kippenberg erschienen und in dem vorliegenden Band vollständig abgedruckt sind - die schönsten Gedichte, die Hertha Koenig geschrieben hat. Und fast alle handeln von etwas, das sie selbst nur als Sehnsucht erlebte, als unerreichbares Glück. Sie handeln von Liebe. Drei Jahre, von 1910 bis 1913, war Hertha Koenig mit dem zwanzig Jahre älteren Literaturwissenschaftler Roman Woerner verheiratet. Eine Verbindung, von der sie später schreibt: "Meine Ehe war keine Ehe, nur eine Freundschaft..." Da hat sie schon Otto von Taube kennengelernt, den baltischen Schriftsteller, an den diese Zeilen gerichtet sind. Und weiter schreibt sie ihm: "Rilke sagte neulich, er habe mit Anderen über meinen "Blumen" gesessen und sie bestaunt... Natürlich sind sie herrlich, es ist doch meine Liebe zu Dir darin..." Eine Liebe, die unerwidert bleibt. Und weitgehend verschwiegen. Damals wissen nur wenige von ihrer unglücklichen Leidenschaft. Zu ihren Vertrauten zählt Rilke. Der Welt jedoch zeigt sie ein anderes Gesicht. Die unnahbare Dame. In den Gedichten läßt sie die Blumen sprechen. Das eigene Ich bleibt ausgespart, kommt allenfalls in der Anverwandlung zu Wort. Das Ich ist die Rose, der Mohn - "Ich hab mich dir geöffnet ohne Scheu / brennend für dich als ein Jubel / ..." - oder jene Gladiole, deren Liebe ungestillt überdauert. Levkojen sind es, die den Rausch erleben, die sich in den schwebenden Sphären zwischen Tag und Nacht, zwischen Licht und Dunkel unerschöpflich erneuern. "Und die ungekannten Ströme / Stürzen wie in Liebesnächten / Aus der namenlosen Fremdheit." Und von dem "mutigen Blau" des Rittersporns fordert die Dichterin, sich dem Licht zu stellen, sich über das Dunkel hinaus zu heben, von dem es heißt: "Und es wäget den Schmerz / Und die aufschäumende Lust / Zur gleichen Schwere herab." Hertha Koenig hat ihre Liebe im Dunkel belassen, bis sie es für zu spät hielt. Dann erst schreibt sie an Otto von Taube: "Merkwürdig, ich bin plötzlich gewiß, daß Du mich geliebt hast..." In den Briefen gibt sie sich preis, offenbart ihre Empfindungen, ihre Zweifel, hadert mit sich selbst. Ist sie zu zaghaft gewesen? In den Gedichten dagegen steigert die Erwartung sich ins Unermeßliche, umspannt Zeit und Raum vom Ursprung bis in die Ewigkeit. Sie ist größer als alles, was die Erfüllung in der Wirklichkeit je zu bieten hätte. Aus der ungestillten Sehnsucht wächst die Kraft der Worte, wächst eine Glut, die in vollkommene Demut umschlägt, wenn die Ahnung des Vergeblichen aufscheint. "Nur dies, Geliebter: unter deinem Schritt / Das Sanfte sein, das deine Wege mildert. / ..." Da sind die stolzen mutigen Blumen zu einem Teppich aus Gras verkümmert. Das Spiel mit dem Blumen-Ich bleibt durchsichtig. Hertha Koenig hat in diesen Gedichten viel gewagt, und so ist ihr ein wahrer Ton gelungen. Die damalige Literaturkritik hat sie daf
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